Frank Wadenpohl: Wieviel Freizeit verträgt die Natur?

Frank Wadenpohl: Wieviel Freizeit verträgt die Natur?

22.07.2013

Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Erde, spielt der Mensch dabei nur eine untergeordnete Rolle. Trotzdem sind wir seit der Industrialisierung damit beschäftigt, die Welt nachhaltig zu beeinflussen. Dies geschieht jeden Tag, sogar in unserem direkten Umfeld. Noch nie hatten wir so viel Freizeit und noch nie hatten wir so viel Geld zur Verfügung, unsere Freizeit zu gestalten. Die Frage, die sich hierbei stellt ist, wieviel davon verträgt unsere Umwelt. Gemeint ist hier nicht nur die Pflanzenwelt, sondern auch die Tierwelt, halt die gesamte Lebensgemeinschaft. Nun könnte man es mit dem biblischen Spruch nehmen: "Der Mensch mache sich die Welt untertan", doch wer sagt, wo hier die Grenzen dessen sind, was der Umwelt zuzumuten ist. Gibt es so etwas wie ein "Gewissen", eine "Selbstbeschränkung"?  Wenn man das Verhalten vieler Menschen in der Natur und ihren Umgang damit betrachtet, könnte man diese Frage eher verneinen. Wer hat vor allem Recht? Welches vermeintliche Recht, die Natur zu nutzen, hat hier Vorrecht? Welche Interessen sind vorrangig. Der erreichte Status Quo ist nicht mehr zurück zu nehmen, die Entwicklung - selbstredend - geht weiter, und man muß sich jeden Tag auf ein Neues wundern, was uns Menschen wieder eingefallen ist, unsere Freizeit zu gestalten. Meine ganz persönliche Meinung hierzu ist, ein jeder verhalte sich so, dass kein Dritter oder gar die Umwelt gestört werden. Hierzu gehört ein hohes Maß an Selbstbeschränkung, eine gewisse Weitsicht bzw. ein gewisser Informationstand und das Vermögen bzw. der Willen, seinen eigenen Egoismus hinten an zu stellen.

Die täglichen Erfahrungen sprechen hier eine andere Sprache. Allein für den Wald betrachtet ist die Liste der Freizeitaktivitäten enorm groß. Da treffen wir auf Jogger, auf Crossläufer, auf Nordic-Walker, auf Reiter, auf einfache Spaziergänger und Radfahrer, auf Angler, auf Naturkundler. Im Wald tummeln sich weiter Waldkindergärten, Baumkletterer, sog. Eventtrainees, Mountainbiker, die Liste ließe sich fortführen. Allein die Fraktion der Mountainbiker teilt sich je Ausrichtung auf in Downhillfahrer, Dirtbiker, Crossfahrer etc. Entwicklungen neuerer Zeit sind die Geocacher und "Naturfreunde", die Vögel mit Vogelstimmenapps über ihr Mobiltelefon vor die Kameralinse bekommen wollen. Besonders letztere führen nachweislich zu einem veränderten Revier- und damit Brutverhalten, so dass manche Bruten aufgrund der Störung sogar aufgegeben werden. Bei dem neuesten "Hype", dem sogenannten Geocaching, einer modernen Art des alten "Schnitzeljagdspiels", muß man sich zunehmend wundern, zu welchen akrobatischen Höchstleistungen man mitunter aufgefordert wird bzw. in welche Behältnisse sogenannte Caches versteckt werden (Nisthöhlen etc.). Hierbei spielt überhaupt keine Rolle, ob fremdes Eigentum betreten wird bzw. wie weit - meist erwachsene - Leute in die Natur gehen und zu welcher Tageszeit "Cachingpoints" gesucht werden. Besonders beliebt sind Nachtwanderungen zu mehreren Leuten. Ein "Böser" der hier behauptet, die Natur wäre in erster Linie - zumindest in der Nachtzeit - den Tieren vorbehalten! Natürlich sind diese modernen "Schnitzeljagden" zum großen Teil auch geistig sehr anspruchsvoll und bringen besonders auch Kinder und Jugendliche in die Natur. Besser als in der "Bude zu hocken". Es kann aber nicht sein, dass insbesondere Erwachsene sich bar jeder Einsicht in der Natur bewegen, als wären sie allein unterwegs. Ein Blick in gefundene Protokollbücher an den Cachingpoints beweist, dass insbesondere an den Wochenenden die Punkte im halbstündigen Takt bis in die Nacht aufgesucht werden. Oft liegen diese Punkte fernab der offiziellen Wege, in den Ruhezonen des Wildes.

Nun sagen Vertreter der einzelnen Fraktionen, das ist für sich genommen doch garnicht schlimm. Stimmt, wenn man sich an die Regeln zum Schutz des Naturhaushaltes halten und zumindest auf den Waldwegen bleiben würde, wäre es wirklich kein Problem. Mittlerweile ist es aber so, dass man sogar bis in die Nacht Mountainbiker und Geocacher mit Kopflampen im Wald antrifft, weil es einfach ein besonderer "Hype" oder "Thrill" ist in der "mysteriösen" Dunkelheit seinem Spass zu frönen. Natürlich ist das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung per Gesetz erlaubt, nur: was ist Erholung und wo fängt die Störung und Zerstörung von Umwelt statt. Sicher lässt sich in der heutigen Welt trefflich darüber streiten, was für den einen oder anderen Erholung vom "gestressten" Alltag ist. Eindeutig sind allerdings die gesetzlich festgeschriebenen Vorschriften zum Schutz der Natur und der darin verhafteten Individuen? Hier kann es absolut nicht richtig sein, zu jeder Tages- und Nachtzeit abseits der Wege mit dem Mountainbike quer durch den Wald zu fahren, überall - möglichst individuell - Caching Punkte zu installieren, mitunter in Bruthöhlen von Vögeln. Es kann nicht richtig sein, wenn man nicht in der Lage ist, seinen Hund zu führen, diesen frei durch die Bestände, hinter dem Wild hetzen zu lassen. Auf diesen Missstand angesprochen hört man von den Hundehaltern oft, das ist ein "Laufhund" - was den sonst mit vier Beinen ? -, der jagd höchstens ´mal ein Häschen, der kommt aus Spanien/Portugal/Griechenland, der versteht das nicht, der war dort "Selbstversorger".

Hier setzt sich für mich die Ignorans und der Egoismus durch. Für mich ist dies reine "Naturbenutzung" letztendlich eine Form von "Naturmissbrauch". Allein im Einzelnen betracht sicherlich kein Problem, doch es ist die Summe, die unsere Natur nachhaltig schädigt. Darauf angesprochen muss man selbst als Forstbeamter heute mit dem Schlimmsten rechnen, und das ist manchmal sogar körperliche Gewalt. Zumindest wird man beschimpft. Auch die Darlegung der meist eindeutigen Gesetzeslage und die Androhung von Ordnungsgeldern hilft oft wenig. Da fragt man sich, wer vertritt denn hier die Fraktion derer, die ursächlich eigentlich in den Wald gehören, die Tiere und Pflanzen, deren Umfeld massiv und nachhaltig gestört wird? Das Verständnis hierfür hat sich grundlegend geändert und wird heute oft ins Absurde verdreht, weil jeder nur sich selbst mit seinem Anspruch sieht. Dies geht soweit, dass Förster und Waldarbeiter beschimpft werden, weil sie Bäume fällen und Jäger, weil sie trotz einer gesetzlichen Verpflichtung zur Wildbewirtschaftung, Tiere schießen. Gerne werden bei solchen Aktionen auch die Organe der Boullevardpresse genutzt bzw. entsprechend einseitige, aber oft rethorisch geschickt formulierte Nachrichten "gepostet" oder "getwittert". Vielleicht bin ich als Förster auch ganz einfach in einer alten Welt verhaftet mit mittleralterlichen Vorstellungen einer vermeindlich heilen Welt. Doch ganz hinten in meinem "Oberstübchen" da sagt mir jemand, dass ich nicht so ganz Unrecht habe. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, über aufklärende Gespräche, besonders mit Kindern, Verständnis für das eigentliche Klientel - die Tiere und Pflanzen - zu erreichen. Da zumindest Kinder meist sehr einsichtig sind, ist noch nicht alles verloren. In den häufigsten Fällen haben wir es halt mit dem Egoismus der Erwachsenen zu tun.