Welches ist das am stärksten wachsende Organ im Tierreich?

Welches ist das am stärksten wachsende Organ im Tierreich?

22.05.2019

Frank Wadenpohl zur Geweihentwicklung von Hirschen

Wer in der letzten Zeit aufmerksam durch unser Tiergehege spaziert ist, dem ist vielleicht aufgefallen, dass die Hirsche beim Dam- und Sikawild zur Zeit ohne ihren „Kopfschmuck“, ihr Geweih, herumlaufen. 

Im Gegensatz zu den „Boviden“, den Hornträgern, zu denen die Rinder, die Ziegen und viele Schafarten zählen, werden die Hirsche als Geweihträger bezeichnet. Die Hörner der Boviden wachsen ein Leben lang weiter und können – wie beim Muffelwild zum Beispiel – rundumdrehende Formen erreichen. Diese Hörner werden demnach nie abgeworfen. Sehr wohl können sie bei rivalisierenden Kämpfen abbrechen. Meistens wachsen sie dann einfach weiter oder sogar nach, wenn der Stirnzapfen im Inneren nicht auch verletzt wurde.

Die Geweih- oder Gehörnträger, die sogenannten „Cerviden“, werfen – hormonell gesteuert – ihren Kopfschmuck einmal im Jahr ab. Das heißt im Umkehrschluss, die Geweihe werden jedes Jahr neu ausgebildet. Einmal abgeworfen, bildet sich bei den Hirschen von frühester Jugend an in kürzester Zeit ein neues Geweih. Mit einer Wachstumsgeschwindigkeit von bis zu zwei Zentimeter am Tag ist dies das am schnellsten wachsende Organ in der Tierwelt.

Dies kann man im Wildgehege zur Zeit gut beobachten. Das Wachstum wird hormonell gesteuert eingeleitet und beendet. Hierbei kulminiert das Geweihwachstum in seiner Vollkommenheit bei den Hirschen unterschiedlich, liegt aber im Allgemeinen im Alter zwischen zehn bis vierzehn Jahren – je nach Begleitumständen. Während dieser Zeit wird am Geweih – zumindest beim Rotwild – immer eine Sprosse mehr ausgebildet. Diese Geweihsprossen können auch ungerade ausgebildet werden, so dass man gerne von zum Beispiel geraden „Sechsern oder Achtern“ spricht, aber ebenso von ungeraden „Zehnern“.

Beim Damwild und beim Sikawild in unserem Gehege ist es etwas anders. Während beim Sikawild – wie bei den meisten echten Hirschen – am Anfang der Jugendgeweihausbildung ein Spießergeweih steht, geht beim Damwild in der weiteren Entwicklung das Geweih in Richtung einer Schaufelausbildung. Daher rührt dann auch die Bezeichnung „Damschaufler“. Die Sikahirsche kommen meist nicht über die Ausbildung eines „Achter- beziehungsweise Zehner“-Geweihs hinaus.

Mit zunehmendem Alter „setzen“ die Hirsche zurück. Die Anzahl der Sprossen verringert sich und bei den alten männlichen Stücken stellen sich dann wieder Geweihe mit zum Teil stark ausgeprägten langen Spießen dar. Diese Hirsche sind dann körperlich meist noch sehr stark und können bei den Revierkämpfen mit anderen Hirschen letzteren ernsthafte Verletzungen zuführen.

Zu Beginn der Entwicklungsphase des Geweihs spricht man vom sogenannten Bastgeweih. In dieser Zeit wird das Geweih mit Aufbaustoffen aus dem Blutkreislauf versorgt. Das Bastgeweih – ähnlich einer Strumpfhose – ist mit Adern durchzogen, welche die Versorgung sicherstellen. Ist das jährliche Geweihwachstum abgeschlossen, wird die Blutversorgung hormonell gesteuert beendet, die Basthaut trocknet aus. Den dadurch eintretenden Juckreiz will der Hirsch „loswerden“. Hierzu scheuert er sein neues Geweih an allem was sich im bietet. In dieser Zeit hängt die Basthaut zeitweise wie „Lametta“ am Geweih herunter, die Knochenhaut ist noch etwas blutig, und erst mit der Zeit wird aus dem anfangs hellen Geweih ein dunkles. Dies rührt von den Pflanzensäften und der Erde her, dort wo der Hirsch sich mit seinem Geweih scheuert. Das ist auch die Zeit, in der uns viele besorgte Bürger anrufen, weil sie denken, die Hirsche hätten sich verletzt.

Die Geweihe dienen – wie soll es anders sein – den Hirschen in erster Linie zum Imponieren und zum Abwehren von Feinden.

Das Mitnehmen von Geweihen und Gehörnen aus der freien Wildbahn ist Jagdwilderei und wird deshalb auch strafrechtlich geahndet!